Mittwoch, 15. Mai 2019

Fernweh und Normalität

Normalität. Was ist normal und was nicht? Das haben wir - Britta, Linda und ich - bei einer 12km Wanderung irgendwie ziemlich ausführlich diskutiert.

Heimat :) 

Alles fing damit an, dass Linda sich darüber beschwerte, dass all ihre Freundinnen, die bei ihr im Dorf wohnen und die sie seit ihrer Schulzeit kennt, keine Zeit mehr haben. Also nicht, weil sie zu viel zu tun haben sondern weil sie einfach müde sind abends. In der Woche und auch am Wochenende lieber zu Hause auf dem Sofa sitzen, als raus zu gehen oder etwas zu unternehmen bei sich oder anderen.
Und da fragten wir uns: sind die komisch oder wir?

Ich dachte eigentlich immer, dass ich so ungefähr der normalste Mensch der Welt wäre. Ich falle nicht wirklich auf, ich trage keine verrückte Kleidung, mein Leben ist auch nicht super speziell. Ich habe studiert, einen Job, wohne seit Anfang 20 nicht mehr bei meinen Eltern, war die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens in Beziehungen. Trifft wohl auf viele Leute zu und dementsprechend normal bin ich dann wohl auch.
Aber die Zeit ändert sich. Wäre ich in der Generation meiner Eltern, würde ich einfach jetzt schon auffallen, weil ich mit 30 nicht verheiratet bin. Die Freundinnen von Linda sind alle in Beziehungen und die Frage ist nun: Ist es normal, dass man so "träge" wird? Macht es ihnen keinen Spaß mehr sich mit Freunden zu treffen? Denken sie nur noch über Familiengründung nach und ist das das höchste Ziel? Aber Linda ist ebenso in einer langen Beziehung - wo ist also der Unterschied?

Und dann habe ich mich daran erinnert, was eine andere Reisende geschrieben hat (die nächsten Absätze sind von ihren Texten inspiriert).

Wer die original Texte lesen will: Kellie Donnelly (hier klicken) 

Unter anderem schrieb sie darüber wie es ist nach einer langen Reise wieder zu Hause zu sein und die Lektionen, die man gelernt hat mitzunehmen in seinen Alltag. Darin habe ich mich wieder gefunden. Sie beschreibt, dass man auf Reisen ein wenig wie ein Kind ist: alles ist neu, alles ist spannend, jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Du lebst im Moment und nicht für das nächste was-auch-immer. Und dieses Gefühl verliert man so schnell, wenn man wieder zu Hause ist. Deswegen habe ich nach der Reise einfach viele Tagestrips in Städte gemacht, die zwar nicht weit entfernt sind, aber in denen ich noch nie war. Ein Wochenende ist gar nicht mal so kurz, wenn man die Zeit richtig nutzt. Neues ausprobieren kann man auch zu Hause in seiner Heimatstadt.

Einfach mal für einen Sonnuntergang stehen bleiben und das Jetzt genießen...

Und ich glaube, dass viele Menschen dieses „kindsein“, die Neugierde und den Tag zu genießen einfach verlernen. Mitte / Ende 20, wenn man die Ausbildung oder das Studium abgeschlossen hat, man einen Partner gefunden hat und die weiteren Jahre vorprogrammiert sind: Kinder, welche Schule, Teilzeit arbeiten oder nicht, ein Haus oder eine Wohnung? Das sind die Sachen mit denen man sich beschäftigt. Aber keine davon ist etwas Kurzfristiges. Alles sind Sachen, auf die man jahrelang hinarbeitet und dabei – meiner Meinung nach – vergisst zu leben.

...oder Neues in der Umgebung entdecken! 

Vielleicht sehe ich deswegen einer Familiengründung etwas skeptisch entgegen. Irgendwie kann ich einfach nicht glauben, dass Kinder das höchste Lebensziel sind. Es ist sicher schön eine Familie zu haben, aber muss dafür das eigene Leben enden (drastisch ausgedrückt)? Da ich Menschen kenne, die trotz Kindern ihre Leben auf spannendste Weise gelebt haben, scheint es wohl eine Sache der Einstellung zu sein und deswegen ist das Ganze noch verrückter für mich. Die Leute scheinen relativ zufrieden mit ihren Entscheidungen zu sein oder interpretiere ich das nur hinein? Ist es so schwer auszubrechen, wenn man merkt, dass man was anderes will? Merkt man das überhaupt oder ist man einfach unzufrieden und gibt anderen Menschen die Schuld daran? Ist der Alltag so überwältigend, dass es nichts anderes mehr gibt?

Zunächst kam mir irgendwie der Gedanke, dass ich es bin, die nicht normal ist. Weil es für mich sehr viel wertvoller ist eine lange Reise zu machen und neue Dinge zu sehen und auszuprobieren, als Familiengründung ganz nach oben auf meine Prioritätenliste zu stellen. Auch die Herausforderung meinen Körper an sein Maximum zu bringen und in Nepal Bergpässe zu erklimmen klingt für mich nach Himmel. Meinen Körper durch eine Geburt zu zerstören ist dagegen nicht wirklich etwas, das ich gerne ausprobieren würde. Zumindest nicht jetzt. Aber ich denke nun, dass es viele Arten von Normalität gibt und nur weil ich ehrlich zu mir selbst bin und das mache, was ich will, macht mich das nicht abnormal.
Verrückter Weise habe ich einen Teil dieses Textes am Muttertag geschrieben, nachdem wir uns kurz getroffen hatten und ich mit Worten gar nicht beschreiben kann wie dankbar ich für meine Mama, meine Kindheit und die Art und Weise bin, wie ich aufwachsen durfte. Ich hatte mehr als nur Glück. Zwei tolle Eltern und zwei tolle Geschwister, ein Haus mit Garten in einem Dorf außerhalb der Stadt. Später sogar einen Hund. Besser kann es fast nicht sein. Und alles, was ich hier beschreibe, ist das komplette Gegenteil von dem Leben, das meine Mama geführt hat. Und trotzdem war und ist sie glücklich. Womit wieder die Frage bleibt was normal ist und wie sich Normalität verändert. Wie sich auch die Rollenbilder von Männern und Frauen verändern. Es wird spannend bleiben.

Aber die Familiengründung ist gar nicht der springende Punkt. Der Grund, warum ich möglicherweise anders bin, als andere, ist, dass ich schon einmal für lange Zeit gereist bin. Denn so etwas verändert dich. Und ich will gar nicht anders sein. Ich bin so wie ich sein will und die Lebensfreude will ich auch nicht verlieren. 

Und da ich nicht so gut mit Worten umgehen kann wie Kellie, ist hier ein Ausschnitt ihres Textes „The Hardest Part Of Traveling No One Talks About“:

Nachdem man zurückgekehrt ist und die ersten Wochen alle Freunde und Verwandte besucht hat.

You’re glad everyone is happy and healthy and yes, people have gotten new jobs, boyfriends, engagements, etc., but part of you is screaming don’t you understand how much I have changed? And I don’t mean hair, weight, dress or anything else that has to do with appearance. I mean what’s going on inside of your head. The way your dreams have changed, the way you perceive people differently, the habits you’re happy you lost, the new things that are important to you. You want everyone to recognize this and you want to share and discuss it, but there’s no way to describe the way your spirit evolves when you leave everything you know behind and force yourself to use your brain in a real capacity, not on a written test in school. You know you’re thinking differently because you experience it every second of every day inside your head, but how do you communicate that to others?
You feel angry. You feel lost. You have moments where you feel like it wasn’t worth it because nothing has changed but then you feel like it’s the only thing you’ve done that is important because it changed everything. What is the solution to this side of traveling? It’s like learning a foreign language that no one around you speaks so there is no way to communicate to them how you really feel.
This is why once you’ve traveled for the first time all you want to do is leave again. They call it the travel bug, but really it’s the effort to return to a place where you are surrounded by people who speak the same language as you. Not English or Spanish or Mandarin or Portuguese, but that language where others know what it’s like to leave, change, grow, experience, learn, then go home again and feel more lost in your hometown then you did in the most foreign place you visited.
This is the hardest part about traveling, and it’s the very reason why we all run away again.

Ein schöner April-Sommertag mit Freunden :) was kann daran kein Spaß machen? 

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