Wer hätte es gedacht, ein letzter Blog steht noch aus
über die letzten Tage in Chamonix. Ihr müsst also noch einmal Berge ertragen
und meine langatmigen Lobpreisungen dazu. :P Oh, und Fotos natürlich, die werde
ich euch auch vor die Nase halten… als wären die Berge mein süßes, für andere ein
wenig hässliches, neugeborenes Baby. Ich habe versucht mich zurückzuhalten, auch wenn Mark meinte ich solle einfach alle nehmen - danke für die Hilfe. Nicht. :P
Also viel Spaß! :D :)
03. September 2020: Nach dem ganzen Faulenzen in Italien nutzten wir den ersten Tag zurück in Frankreich für eine nette Wanderung. Das Wetter war perfekt mit wunderbarem, spätsommerlichem Sonnenschein und so fuhren wir zu einem kurz vor dem Mont-Blanc-Tunnel gelegenen kleinen Wanderparkplatz direkt am Hang der Berge. Von hier hätte man auch in wenigen Minuten den Wasserfall erreichen können, wir wandten uns jedoch in Richtung der Berge. Es würde auf der linken Seite des Glacier des Bossons steil bergauf gehen zu einer alten, verlassenen Liftstation auf etwa 2.400m, der Gare des Glaciers. Vom Parkplatz waren es recht kurze 4,5 Kilometer, wobei wir aber über 1.100 Höhenmeter machen mussten.
Jeder normale Mensch wäre vormittags aufgebrochen, wir schliefen aus und gingen mittags los. Was für ein Leben. Zunächst durch schöne Wälder ging es auf schmalen Pfaden immer weiter nach oben. Rot leuchtende Pilze wuchsen neben dem Weg und manchmal öffneten sich die Bäume zu erstklassigen Aussichten auf die Berge, den Gletscher und das Tal. Schatten im Wald und in der Höhe dann wärmende Sonnenstrahlen im offenen Gelände. Was für ein toller Tag! Ich ging gemütlich voran, denn Mark hatte sich mal wieder verrückte Mengen an Gewicht auf den Rücken geschnallt und so kletterte ich manchmal auf den Resten der Fundamente des Lifts herum, während ich darauf wartete, dass er aufschloss.
Wir begegneten keinem einzigen anderen Wanderer und es sah auch nicht so aus, als wäre seit dem letzten Regen jemand hier langgekommen. Keine Spuren in der Erde und ein Haufen Spinnenweben, in die ich hineinlief. Yay.
Gletscher und Aussichten und warmer Sonnenschein |
Wir kamen schnell voran, wohl weil wir beide echt froh waren uns nach den ganzen gammligen Tagen wieder bewegen zu können und so kamen wir nach etwa 2,5 Stunden bei den verlassenen Gebäuden der Liftstation an und erkundeten die Ruinen. Über uns ragte der Midi in das perfekte Blau des Himmels und rechts daneben erstreckten sich die weißen Gletscher bis zum Gipfel des Mont Blanc. Kann man sich eine schönere Kulisse für eine Gummibärchenpause vorstellen? Es war so ruhig und friedlich dort, dass ich gerne dort gecampt hätte – vielleicht wann anders.
Auf dem Weg hinab telefonierte Mark mit einem Guide, den er von früher kannte und der möglicherweise Zeit hatte mit uns in den nächsten Tagen ein kleines Abenteuer zu machen. Ich drückte uns ganz doll die Daumen, dass es diesmal klappen würde. Abends belohnten wir uns dann mit selbstgemachten Fajitas, Marks Spezialität. :P
Der nächste Tag wurde entspannter, denn Mark fuhr zum Arbeiten ins Büro und ich schlief erstmal aus. Dann kümmerte ich mich um die Wäsche und machte die Wohnung sauber. Wo ist denn hier der Roomservice? Abends trafen wir uns in Chamonix mit ein paar von den anderen und zogen dann noch einmal weiter zu einer völlig überfüllten Bar, bei der man sich von „Straßenköchen“ indische Pommes und Spieße braten lassen konnte. Erstaunlich lecker. Wir saßen auf schmalen Bänken zusammengedrängt an einem winzigen Tisch draußen und versuchten zu essen, ohne dabei den Nebenmann mit den Ellenbogen aufzuspießen. Ich saß immerhin am Rand und James neben mir konnte sich eh kaum bewegen, da sein linker Arm in einer Schlinge steckte. Es war die lustigste Runde, die ich hier bisher gehabt hatte, so dass ich irgendwann starke Bauchschmerzen vom Lachen hatte. Wir verabredeten uns mit dem spaßigen Kern der Gruppe für den nächsten Tag zum Frühstück und dann trafen wir noch andere alte Bekannte wieder, mit denen wir uns zu einem Spielabend verabredeten. Keine Ahnung was diese Bar gemacht hatte, dass einfach alle dort früher oder später landeten, aber immerhin braucht man so keine WhatsApp-Gruppen, um irgendwas zu besprechen.
Sonnenuntergangsaussichten auf den Mont Blanc |
Und so waren wir am nächsten Morgen pünktlich um 10 Uhr im MBC und mussten noch auf die anderen drei warten. Ich bestellte schon mal eine ziemlich geniale Heiße Schokolade mit Sahne und als James mit Liz und George reinspaziert kam, musste er direkt auch eine bestellen. Er bereute es nicht. ;) Das Frühstück war super lecker und so konnten wir danach entspannt mit George durch die volle Stadt schlendern. Es war Saisonende und die ganze Stadt hatte einen Sale mit echt guten Rabatten. Bei den ganzen Markenoutdoorläden, die aneinandergereiht die Innenstadt schmückten, konnte man gut Geld ausgeben. Oder ganz viel sparen, wenn man zwar glücklich durch alle Läden spazierte, aber nichts kaufte. Ich spielte allerdings Kaufberatung für Mark. Es war sonnig und voll. Natürlich. Alle lieben Schnäppchen.
George ging dann irgendwann nach Hause, denn er hatte schon vor dem Frühstück was bei Patagonia gekauft. Aber weil er der liebste Mensch ist, versprach er mir noch seinen Eispickel, Schlafsackinlet und Handschuhe für die Tour in die Berge auszuleihen. :) Wir hatten nämlich die Bestätigung bekommen, dass es klappen würde: Morgen würde es losgehen! Ich lieh mir noch Schuhe und Steigeisen in dem gleichen Laden wie letztes Mal aus, was das Ganze sehr einfach machte, denn ich konnte einfach sagen, dass ich die gleichen Schuhe wie schon einmal wollte, so entfiel das Anprobieren und Schuhe testen.
Abends trafen wir uns dann mit Will, unserem Guide für die nächsten zwei Tage, um ihn schon mal kennenzulernen und fuhren nach einer Stunde weiter ins MBC, wo wir mit Harry und Lucy verabredet waren. Wer die beiden Namen nicht so ganz zuordnen kann: Harry und Lucy sind Teil der coolen Machapuchre-Basecamp (MBC)- und Pokhara-Gruppe aus Nepal und ich konnte noch gar nicht so richtig glauben, dass wir uns alle hier in den Bergen eines anderen Kontinentes wiedertrafen. Harry erzählte uns alles über seine Keto-Ernährung und Lucy machte durch Augenrollen deutlich, dass sie dies schon 200-mal gehört hatte. Hach, ich hatte die Streitereien der beiden vermisst.
06. & 07. September 2020: Aiguille d’Entrèves (3.604m) & Dent du Gèant (4.013m)
Roter Pfeil: Rifugio Torino. Aiguille d’Entrèves nach links, Dent du Gèant nach rechts |
Will holte uns um 9 Uhr am nächsten Morgen ab und ich hätte vielleicht etwas mehr als nur Mango frühstücken sollen, aber hinterher ist man ja immer schlauer. Der Weg war bekannt, denn wir fuhren wieder durch den Mont-Blanc-Tunnel rüber auf die italienische Seite des Mont-Blanc-Massivs und dort mit dem Lift und der sich drehenden Gondel - 360°-Blick auf die Berge und das Tal - hoch zur Rifugio Torino auf 3.375m. Hier würden wir die Nacht verbringen, so dass wir schon mal das meiste unseres Gepäcks dort lassen konnten.
Und dann ging es auch schon los: Rein in die Klettergurte, Schuhe an, Steigeisen in die Hand und raus auf den Gletscher. Ich wurde wieder in die Mitte genommen und angeseilt. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das sich noch nicht selbst anziehen kann, weil Will meine Knoten festmachte und ich etwas planlos währenddessen in der Gegend herumstarrte. Aber im Zweifel will ich lieber in seinen Knoten fallen als in meinen. :D
Wir folgten dem ausgetretenen Pfad in Richtung „Midi“ und bogen dann links ab. Es ging etwas länger über die Gletscher als beim letzten Mal und an zwei Stellen musste man über Gletscherspalten hüpfen, was Will ohne ein Reduzieren der Geschwindigkeit machte – ich glaube ihm fiel das nicht mal auf – und somit blieb mir nichts anderes übrig als genauso schnell über die Lücke im Eis zu springen. Wenn man keine Zeit hat nachzudenken, ist es auch gar nicht schlimm. Will ging ohnehin ziemlich flott, so dass ich mich nur darauf konzentrierte nicht über meine eigenen Füße zu stolpern und das Seil locker hängen zu lassen.
Auf dem Weg zur Aiguille d’Entrèves |
Als wir am Einstieg in die Kletterroute der Aiguille d’Entrèves ankamen, hatte ich endlich mal Zeit durchzuatmen und mich umzuschauen. Wir standen in einer grauen Wolkensuppe und nur einmal waren die Wolken aufgebrochen, um einzig die Spitze des Dent du Gèant zu enthüllen. Ein magischer und flüchtiger Bergmoment. Die Wolken bedeuteten, dass wir wohl keine schönen Aussichten haben würden, aber heute war eigentlich primär ein Testlauf für den morgigen Tag, deswegen war es nicht so tragisch. Will wollte heute unsere Kletterfähigkeiten einschätzen, um zu entscheiden, ob wir morgen den Dent angehen würden oder doch lieber etwas anderes machen würden.
Es ging mit leichtem Kraxeln los und wir kamen gut voran. Dann kamen ein paar Abschnitte, in denen tatsächlich geklettert werden musste: Eine Art Kamin mit zwei glatten Wänden hatte es in sich. Man musste sich mit den Füßen rechts und links abstützen und hochstemmen, was auf über 3.000m gar nicht so einfach ist. Die drei oder vier etwas kniffeligeren Stellen schafften wir jedoch ohne Hilfe und so ging es danach nur noch auf dem Grat entlang. Dieser Teil war nicht mehr so anspruchsvoll, aber trotz der Wolken sollte man schwindelfrei sein, denn es ging steil bergab und du versucht da oben über ungerade Felsen zu hüpfen. Es machte Spaß! Den tatsächlichen Gipfel auf 3.600m hätte ich komplett verpasst, wenn Will nicht stehen geblieben wäre, um ein Foto von uns zu machen.
Gipfel der Aiguille d’Entrèves (3.604m) |
Heute lernte ich zwei neue Dinge, die mir morgen hoffentlich etwas Sicherheit geben würden: Das Klettern auf dem Felsen mit Steigeisen unter den Schuhen – was für ein merkwürdiges Gefühl – und das Heruntergehen auf einem Schneefeld, das so steil war, dass ich gar nicht glauben konnte, dass ich dort nicht hinunterfallen würde. Ich saß quasi auf meinem Hintern und streckte vorsichtig ein Bein nach dem anderen nach unten und merkte erst am Ende, dass ich durch die Steigeisen wie ein Gecko diesen steilen Hang einfach hinabgehen konnte. Spannend! Mein Gehirn hatte Schwierigkeiten diesen Fakt zu verarbeiten.
Auf der anderen Seite des Kamms ging es hinab auf den Gletscher, so dass wir auf diesem den gleichen Weg wieder zurück mussten plus ein paar hundert Meter, die wir auf dem Felsen zurückgelegt hatten. Es ging bergauf und Will rannte einfach los... Das war keine normale Geschwindigkeit mehr – nicht mal für jemanden mit längeren Beinen als ich. Nicht mehr heilig. Absolut nicht witzig. Rennen wir halt einen Gletscher auf über 3.000m hoch. In Steigeisen. Warum nicht? Meine Lunge braucht ja auch keine Luft. Meine Muskeln auch nicht. Alles kein Problem.
Es wurde der anstrengendste Teil des Tages und natürlich hatten wir keinerlei Zeitdruck, außer vielleicht unseren Hunger… aber nach einer Pause zu rufen, lässt sich leider nicht mit meinem Stolz vereinbaren und so hechelte ich hinterher. Man könnte denken, dass es ziemlich still ist, wenn man sich über einen Gletscher bewegt, aber die Schritte, die man macht, sind tatsächlich recht laut. Knirschen und Knacken im Schnee und Eis, so dass man eigentlich nur sich selbst hört. Na immerhin hörte so niemand mein angestrengtes Schnaufen. Ansonsten ist es eine tolle Landschaft, besonders bei Windstille: vollkommen ruhig, Geräusche werden vom Schnee geschluckt, kein Verkehrslärm, keine Menschen und klare Winterluft sogar im Sommer. Wir hörten jedoch auch das laute Krachen von herabfallenden Felsbrocken von der Felswand uns gegenüber und man fühlte sich unendlich unbedeutend. Schwarze Felsen wie Fremdkörper auf dem weißen Schnee. Die Natur war hier so rau und ursprünglich, dass Menschen gar keinen Platz zu haben schienen.
Ziel für morgen! |
Endlich kamen wir bei der Hütte an und Will meinte
entspannt, dass wir eine gute Zeit gemacht hätten. Das will ich verdammt auch
mal hoffen, so wie mein Körper gerade gestorben ist! Er teilte uns außerdem mit, dass er uns für fit und fähig genug hielt den Dent zu besteigen. Yeah! Ego-Boost.
Es gab leckere Lasagne und ich fiel komplett ausgehungert über mein Stück her, schaffte es aber nicht ganz, worüber Mark nicht traurig war. Wir konnten dann in unser Zimmer ziehen, das wir aus Coronagründen für uns vier alleine hatten, obwohl 8 Leute reingepasst hätten. Mittlerweile war es wunderbar sonnig und so ging ich noch ein wenig in meinen Flip Flops raus auf die Terrasse und genoss die Aussichten auf die Berge.
Nach einem kurzen Mittagsschläfchen ging ich runter in den Aufenthaltsbereich, wo ich Will fand, der mit einem Mädel quatschte, Lou. Lou war Aspirantin, also in Ausbildung als Bergführer und würde morgen unser zweiter Guide sein, denn wenn man auf den Dent steigt, muss man pro hilflosem Küken einen Guide haben, also eins zu eins Führung. Zu dritt an einem Seil, wie wir das heute gemacht hatten, ist seit ein paar Jahren verboten. Lou sieht gar nicht so krass sportlich aus, wie zum Beispiel Will, der einfach keinen Gramm Fett an seinem Körper hat, und das machte sie sehr sympathisch.
Abends gab es dann für alle, die in der Hütte schliefen, das gleiche Essen ausgeteilt, was erstaunlich lecker war. Ich aß restlos alles auf – hoffe die anderen wurden auch satt, wenn ich schon alles weg mampfte. Ich versuchte auch möglichst viel Wasser zu trinken, denn ich spürte die Höhe mit leichten Kopfschmerzen, aber es war nicht so schlimm, dass ich mir Gedanken machen müsste. Noch ein letzter Blick auf den bunt gefärbten Abendhimmel, dann ging es bald schon ins Bett, denn wir würden nicht allzu lange schlafen.
Es überraschte mich wenig, dass ich zweimal das Blink182-Album durchhörte und dann immer noch nicht schlafen konnte. Höhe scheint mein Bedürfnis zu schlafen einfach auszuschalten. Frühstück gab es um 5 Uhr und mich störte der Wecker absolut nicht, denn ich war schon oder immer noch wach. Auch okay. Mark und ich kamen dann jedoch zu spät zum Frühstück, weil wir es irgendwie schafften uns auszusperren, nachdem wir unseren Kram in den „Gear Room“ gebracht hatten. Wir wandelten bei völliger Dunkelheit draußen über gefrorenen Boden, winkten Will und Lou durch ein Fenster zu und versuchten durch eine andere Tür wieder reinzukommen, was uns im Endeffekt nichts brachte, außer dass uns kalt wurde. Naja, es stellte sich heraus, dass wir zu blöd gewesen waren die Tür zum Treppenhaus wieder zu finden (sie war gar nicht verschlossen) und damit wäre dann wohl auch abschließend geklärt, dass wir beide keine Morgenmenschen sind. :D Das Frühstück war nicht mega Gourmet, aber irgendeine komische Eingebung ließ mich alles aufessen, verflucht sei sie. Mein randvoller Magen würde mich noch die nächsten Stunden beschäftigen. Wie man es macht, macht man es falsch. :D
Draußen wirkte die Schwärze um uns herum noch kälter als wir unsere Steigeisen anlegten und erst jetzt gab Will bekannt wer mit wem klettern würde: er mit mir und Lou mit Mark.
Will und ich gingen schon vor, weil die anderen beiden noch mit ihrem Seil beschäftigt waren – zwei kleine Lichtkegel im Dunkel der Nacht, die den Schnee vor den Füßen erhellen. Verglichen mit gestern schlichen wir nur so voran und ließen die anderen beiden aufholen. Wir folgten dem Weg in Richtung Aiguilles Marbrèes, ließen die dunkle Felswand rechts liegen und stiegen nun zu dem Teil des Dent du Gèant auf, der aus dem Schnee herausragte. Ich hechelte schon nach kurzer Zeit.
Dann ging es hinauf auf den Felsen und hier fing meine Qual erst richtig an. Ich fühlte mich immer noch nicht wahnsinnig sicher mit Steigeisen auf Steinen herumzulaufen, denn die punktuellen Spitzen unter den Sohlen ließen die Füße mit jedem Schritt auf den Unebenheiten in andere Richtungen wegknicken. Es ging aber irgendwie. Will legte jedoch wieder ein irres Tempo vor und nach kurzer Zeit fingen meine Oberschenkel an zu brennen, mir wurde übel von der Anstrengung und ich bereute das Frühstück mit jedem Atom meines Körpers. Ich litt. Meine Lunge brannte von den rasselnden Atemzügen und der Hoffnung Sauerstoff in meinen Körper zu ziehen. Ich führte bei jedem Schritt innerlich eine Debatte mit mir selbst, ob ich nicht nur nach einer Pause fragen sollte, sondern ob komplett umzudrehen nicht die bessere Wahl wäre. Wir hatten noch nicht einmal wirklich angefangen, wie sollte das denn später werden? Das hier war noch der „leichte“ Teil. Ich zweifelte an mir selbst.
Wir kraxelten auf einem kleinen Grat entlang, als mir auffiel, dass mittlerweile ein leichter hellgrauer Dunst am Horizont die Berge um mich herum erhellte. Im Osten war ein rosa Schleier zu erkennen. Achja, dafür machte ich das hier doch, oder?
Lou und Mark kurz vor dem Start der Kletterstrecke |
Kurz darauf kamen wir nach etwa 1,5 Stunden bergauf hüpfen an der Steilwand an, die den Beginn des eigentlichen Kletterns markiert. Wir umrundeten eine Kante und plötzlich traf mich ein eisiger Wind im Gesicht und ich zog mir schnell alles an Klamotten über, was ich dabeihatte. Leider musste ich meine Handschuhe ausziehen, um aus meinen Steigeisen herauszukommen und danach war das Gefühl in meinen Fingern weg. Wundervoll. Meine Zehen wurden in den Schuhen auch langsam kalt, es machte keinen Spaß mehr. Ich zitterte am ganzen Körper. Wäre meine Laune etwas besser gewesen, hätte ich die glatten hunderten Meter der steilen Felswand über mir bestaunt, so hatte ich einfach nur noch Angst. Blanker Felsen, die Westflanke des „Zahns“ ragte majestätisch in den sich langsam erhellenden Himmel und schien mich zu verhöhnen. Wie bitte sollte ich da hinaufkommen? Wie?
Da wir auf eine andere Gruppe aufgelaufen waren, mussten wir warten, bis wir endlich starten konnten. Eisige Minuten im Schatten und Wind, denn da wir auf der Westseite klettern würden, würde sich die Sonne bis zum Ende nicht wirklich zeigen.
Und dann ging es los. Will würde vorangehen, also war ich zwangsläufig die zweite: 8 oder 9 Pitches, also Seillängen, bis nach oben. Es gab ein dickes Tau, das fast auf der gesamten Strecke als Kletterhilfe angebracht war, denn ohne das Tau wäre diese Route für nicht professionelle Kletterer nicht machbar. Beruhigend. Hust. Schon im ersten Pitch hatte ich große Probleme, obwohl es nur um eine Kante herum ging und dann ein kleines Stück nach oben. Doch ich fühlte meine Finger wegen der Kälte nicht mehr und konnte somit das Seil nicht greifen. Ich war kurz vorm Verzweifeln. Technisch war das kein schwieriges Klettern, aber ohne Finger kaum machbar. Ich wünschte mir mein Übelkeitsgefühl zurück, wenn ich dafür wieder warme Hände bekommen könnte. Endlich erreichte ich Will und erzählte ihm von meinem Problem und er gab mir einen lebensrettenden Tipp: Finger ausstrecken und so schnell wie möglich nach unten Schleudern, so drückte ich das warme Blut zurück in die Spitzen. Mit einem leichten Kribbeln kündigte sich mein Gefühl allmählich wieder an. Oh, Wunder und Hoffnung! Jede Sekunde, die ich nun Zeit hatte, würde ich wie ein merkwürdiger Puppenspieler in der Gegend herumfuchteln.
Blick nach oben (ich bin einer von den 2 mittleren Punkten) |
Es ging stetig bergauf. Immer ging Will vorweg, wobei ich ihn bis auf bei zwei Pitches sichern musste, was bedeutete, dass ich auch in meiner Kletterpause wie wild mit meinen Armen rotierte, um das immer schwerer werdende Seil an ihn nachzugeben. Mein Atem beruhigte sich nicht mehr. War Will angekommen, sicherte er sich innerhalb von Sekunden am Felsen, zog das Seil straff und ließ mich wissen, dass ich mich nun von meinem Ankerpunkt abschnallen und zu klettern anfangen konnte. Immerhin war dieser Teil sehr schnell Routine.
Manche der Abschnitte bereiteten mir kaum Mühe, unter anderem auch der, von dem Will meinte, dass es der schwerste Teil wäre. Man durchquerte eine glatte Wandstelle mehrere Meter ohne wirkliche Tritte bei der man vorsichtig Balancieren musste, aber das war auch beim Bouldern schon immer meine Stärke gewesen. Damit kam ich klar. Aber dann verließen mich an drei bis vier Stellen meine Kräfte. Man musste sich quasi am Seil hochhangeln mit ein wenig Unterstützung der Füße und ich hatte einfach keine Kraft mehr in meinen Unterarmen. Wir waren nun knapp unter der 4.000m-Grenze und das Klettern hatte seinen Preis. Ich versuchte das Tau zu greifen, doch nach weniger als einer Sekunde rutschten meine Hände schon ohne mein Zutun ab, ich hatte keine Chance. Ich baumelte in meinem Klettergurt, versuchte meine Arme zu entspannen und zumindest ein wenig Kraft zurück zu bekommen. Unter mir hunderte Meter freier Fall, aber daran dachte nur der kleinste Teil meines Gehirns. Will sicherte mich so eng, dass er mich bei jeder noch so kleinen Anstrengung meinerseits ein Stück höher zog, so dass ich es irgendwie durch diese Stellen schaffte. Als hätte ich einen Autounfall gehabt, konnte ich mich später nicht mehr richtig daran erinnern, ich war körperlich ziemlich am Ende.
Irgendwo zwischen Pitch 3 und 4 hatten wir die Gruppe vor uns überholt - Will rannte offensichtlich auch noch am Felsen den Berg hinauf – und somit kamen wir als erste am kleineren Gipfel an. Hier wurde es noch einmal spannend, denn man musste sich nun rückwärts an einer wirklich gruseligen Stelle an einem Seil herablassen und dabei einen großen Schritt über eine Spalte machen. Ich schaute nicht hinab. Wenn das Gehirn nicht weiß, dass du dich gefühlt gerade umbringst, dann kann es auch nicht in Panik geraten, oder?
Mark auf dem kleineren der beiden Gipfel kurz vor dem Ziel |
Wir waren nun zwischen den beiden Zacken, die dem Dent du Gèant sein charakteristisches Bild eines Riesenzahns verliehen und somit so gut wie da. Nur noch ein kurzes Stück auf den eigentlichen Gipfel und dann war ich oben. Will wurde umarmt und ich dankte ihm tausendmal, dass er mich hier hinaufgeschleppt hatte. Als perfekter Gentleman meinte er, dass ich das selbst geschafft hätte und dass es eine tolle Leistung gewesen ist, aber hätte er mich nicht an den paar Stellen quasi am Seil hinaufgezogen, würde ich vermutlich immer noch irgendwo an der Wand hängen und überlegen dort nun einfach zu wohnen.
Der Gipfel war nur ein paar Meter lang, aber man konnte sich erstaunlich bequem in eine Spalte hineinsetzen, die auch noch windgeschützt war. Sonne flutete auf uns herab und ich kam mir vor wie im Himmel. Erstmal ankommen und realisieren, dass ich es geschafft hatte. Ich war wirklich hier oben auf knapp über 4.000m. Was für ein wahnsinniges Glücksgefühl!
Erstmal Füße hochlegen... |
Der tiefblaue Himmel erstreckte sich zu allen Seiten, der nächste Gipfel war weit weg, wir schwebten in der kalten, klaren Luft, wie der Horst eines Adlers. Steilwände wie die Mauern eines Turms, unten schneeweiße Gletscher und schwarze Felsen. Der Mont Blanc sah nie näher aus und war doch so weit weg, die Grand Jorasses ragten auf unserer anderen Seite auf, überblickt von der Marienstatue, die mit uns den Gipfel teilte. Es war so ein perfekter Ort, dass man fast anfangen könnte an Gott zu glauben.
Marias Kopf war ein wenig angeschmolzen… Blitzschläge. Wie verrückt es hier oben bei einem Gewitter sein musste.
Will und ich mit der Marienstatue |
Endlich hatte ich ein bisschen Zeit für Fotos und Videos, denn Lou und Mark waren etwa 45 Minuten hinter uns. Erst als wir wieder Zuhause waren, machte ich mir darüber Gedanken. Will war so schnell hinaufgeklettert und hatte mich dadurch zu einem ähnlichen Tempo gezwungen, dass ich vielleicht mit mehr Pausen und längeren Ruhezeiten die kniffeligen Stellen auch ohne Hilfe geschafft hätte. Ich hatte aber nicht ein einziges Mal wirklich Luft schnappen können. Es war aber auch egal, denn langsam stellte sich bei mir auch der Stolz ein. Ich hatte nie in meinem Leben etwas Vergleichbares gemacht und ich war wirklich über mich hinausgewachsen. Die andere Gruppe, die wir überholt hatten, kam irgendwann an, teilte Gipfel-Schokolade mit uns und dann waren wir wieder allein. Ein paar erhabene Minuten in perfekter Stille. Gab es noch andere Menschen außer uns auf dieser Welt?
Als Lou und Mark endlich den Gipfel erreichten, war Will schon wieder gedanklich am Aufbrechen. Mark hatte rote Flecken auf seiner dunklen Hose und sich ordentlich das Knie blutig geklettert. Ich würde nur einen Haufen blaue Flecken zurückbringen. Wir machten noch ein Gipfelfoto und dann ging es auch schon wieder zurück.
Einmal glücklich aussehen für das Gipfelfoto, bitte! |
In meiner ganzen Euphorie hatte ich komplett vergessen, dass ich die ganze Strecke ja auch wieder zurückgehen musste. Damit es sogar noch schneller ging, ließ mich Will einfach am Seil bis zu der Stelle zwischen den Gipfeln hinunter, anstatt mich klettern zu lassen. Er kam dann flink hinterher und brachte das Seil für unsere erste Strecke Abseilen an. Wir würden keinen Prusik benutzen, sondern ein doppeltes Seil, an dem ich mich einfach herablassen sollte. Will würde meine Sicherung sein, also vertraute ich ihm. Er ging vor und verschwand innerhalb von Sekunden aus meiner Sicht. Dann rief er mir zu, dass ich ihm folgen sollte. Nun wurde mir doch etwas mulmig im Magen. Ich drückte die Füße gegen den Felsen und lehnte mich nach hinten in das Seil. Steiler Felsen und unter mir hunderte Meter Luft, dann löste ich vorsichtig meinen festen Griff um das Seil und es fing an durch mein Sicherungsgerät zu gleiten. Ich bewegte mich nach unten.
Die erste Seillänge war noch etwas ruckelig, da ich noch austesten musste wie viel ich nachgeben musste, damit das Seil gleichmäßig durch meine Hände glitt, aber danach wurde ich schneller. Und dann kam der Spaß dazu. Je schneller ich das Seil gleiten ließ, desto mehr fühlte es sich an wie fliegen, ich drückte mich leicht mit den Füßen von der Wand ab, dann landete ich wieder etwas weiter unten an ihr. Was für ein einmaliges Gefühl! Ich schaute hinunter und fühlte mich sicher. Sollte das Seil oder mein Klettergurt reißen wäre ich natürlich tot, aber ich vertraute dem Equipment und genoss das unglaubliche Gefühl durch die Sonnenstrahlen zu schweben.
Nach 5 oder 6 Seillängen und gefühlt nur wenigen Minuten kamen wir auf dem gerölligen Fuß des Dent an und suchten unsere unten liegen gelassenen Steigeisen und Eispickel wieder zusammen. Natürlich lagen sie auf der anderen Seite einer völlig vereisten Stelle, die wir auf unseren Schuhen ohne Steigeisen überqueren mussten. Kann ich bitte lieber noch mal fliegen? Wir brachten Lous und Marks Sachen mit und warteten in den grauen Schatten am Fuß des Berges. Wolken lagen hier unten und ließen die Sonne zu einem warmen Traum vergehen.
In Steigeisen kletterten wir dann die lange Strecke hinab zum Gletscher und ich war gar nicht begeistert. Meine Lunge brannte natürlich nicht mehr, aber durch die merkwürdige Ausbalancierung auf den Stahlzacken knickte ich oft um oder rutschte ab. Will hatte erzählt, dass die meisten Unfälle auf dem Rückweg passierten, wenn man schon erschöpft war und nicht mehr so gut aufpasste. Ich machte drei Kreuze als wir auf dem Gletscher ankamen und dachte nun würde es endlich entspannter vorwärts gehen, aber kaum war dieser Gedanke durch meinen Kopf geschossen, kam auch schon Will an mir vorbeigejoggt (diesmal wortwörtlich) und rannte den Hügel hinunter. Falls es jemand vergessen haben sollte: Wir waren durch ein Seil an den Hüften verbunden wie merkwürdige Siamesische Zwillinge und so blieb mir nichts anderes übrig als ihm so schnell wie möglich zu folgen. Ich stolperte mehr als dass ich rannte, schaffte es aber auf meinen Beinen zu bleiben, bis Will plötzlich stoppte, seinen Rucksack abnahm und sich auf diesen setzte. Pause. Ach was. Er fragte mich, ob ich oben die großen Felsbrocken gesehen hatte, die links und rechts der Spur im Schnee gelegen hatte. Klar hatte ich, sie waren ja nicht wirklich unauffällig gewesen. Jop, die waren wohl gestern alle heruntergekommen und der Grund, dass Will schnell aus dieser Zone herauskommen wollte. Gruselig.
Als Lou und Mark uns eingeholt hatten, durften sie mal wieder keine Pause machen und langsam taten mir beide echt leid. Es ging wieder weiter, noch ein letztes Mal hoch zur Hütte und dann war es geschafft. Wir hatten den Dent du Gèant bestiegen, waren sicher und unverletzt (minus die blauen Flecken und Marks kaputtes Knie) wieder unten angekommen und konnten nun behaupten diesen Berg bestiegen zu haben. Wie krass sind wir eigentlich?!
Glücklich fuhren wir mit dem Lift wieder ins Tal hinunter und gingen Pizza essen. Ich brauchte wie immer am längsten, um mich für eine Pizza zu entscheiden (Mark, tut mir echt leid, dass du immer so lange warten musst), aber dann war meine Wahl wohl so gut, dass sich Will noch spontan umentschied und auch meine Pizza bestellte. Ha, nimm das, Mark!
An der Grenze hatten wir dann ein paar Minuten Spaß, denn wir mussten unsere Pässe vorzeigen – ein lustiger Mix aus Nationalitäten – und dann verfuhren wir uns und mussten eine Ehrenrunde drehen und noch einmal durch die Kontrolle. Hupsi. Warum machen die überhaupt Grenzkontrollen innerhalb der EU?
Am nächsten Tag traf ich mich mit Lucy und Harry zum Frühstücken und so passierte ein Wunder: Ich war vor Mark unterwegs.
Hach, wie schön mit den beiden zu reden! Freundschaften, die man beim Reisen schließt, sind einfach so wertvoll. Ich verabredete mich für den Nachmittag mit Lucy zu einem Spaziergang und so liefen wir ein paar Stunden zusammen quatschend durch die Wälder der Gegend. Mark hatte den ganzen Tag versucht telefonisch eine Hütte hoch zum Mont Blanc zu buchen, da wir ja akklimatisiert waren, aber leider erreichte er niemanden oder alles war schon voll. Schade. Also kein Mont Blanc für mich, denn meine Zeit hier neigte sich schon wieder dem Ende entgegen. Unser Alternativprogramm war ein Klettersteig zusammen mit Lucy und Harry, die ihre schweren Rucksäcke mitschleppten, weil sie oben an einem See campen wollten.
Wir kletterten die Via Ferrata des Evettes, die Mark und ich beim letzten Mal schon einmal gemacht hatten. Somit ging ich trotz Muskelkaters in den Armen entspannt an die Tour heran. Wir mussten auch nicht schnell klettern, da Lucy und Harry mit ihren schweren Rucksäcken natürlich besonders in den Überhangstellen zu kämpfen hatten. Aber sie schafften es mit roten Wangen nach oben, wo wir dank des sonnigen Wetters die schönen Aussichten genießen konnten.
Auf dem Weg zurück zur Liftstation verliefen Harry und ich uns einmal für ein paar Minuten, weil wir den falschen Markierungen folgten und dafür den Beginn einer richtigen Kletterroute fanden. Auch schön. Und dann mussten wir auch schon wieder Tschüss sagen. Aber ich bin mir diesmal genauso sicher wie in Nepal, dass es kein Abschied für immer ist. :)
Via Ferrata des Evettes: links Lucy, rechts oben Harry |
Abends waren wir bei Natalie und Burak, die unterhalb von „La Jonction“ wohnten und von ihrem Garten den tollsten Blick auf die Berge hatten. Wir aßen die mitgebrachte Pizza bei diesem großartigen Blick und dem dunkler werdenden Tageslicht auf der Terrasse und gingen dann rein, um ein Spiel zu spielen. Leider gewann Burak mit zwei Punkten vor mir, aber es war trotzdem ein nettes Spiel. :P Und ein echt schöner Abend. Man kann hier in dieser verrückten bergbegeisterten Stadt leicht vergessen, dass es auch noch etwas anderes gibt als draußen zu sein und dieser Abend war einfach wunderbar normal: Gesellschaftsspiel und Gespräche, die sich nicht nur um Bergsport drehten.
Da Mark getrunken hatte, fuhr ich uns in seinem Auto zurück und war sehr froh, dass außer uns quasi niemand so spät noch unterwegs war, denn ich fuhr die ganze Zeit viel zu weit links in der Mitte der Straße. Ich konnte nichts dafür, mein Gehirn machte das automatisch, ich konnte nicht rechts sitzen und rechts fahren. Wir schafften es trotzdem ohne Unfall nach Hause und dann war auch schon mein letzter Tag in Chamonix. Da unsere Mont-Blanc-Pläne ja nichts geworden waren, konnten wir immerhin ausschlafen, nett frühstücken gehen und danach durch die Läden der Stadt schlendern. Abends noch ein letztes Mal nett was trinken in Les Praz, wo wir zu Fuß hingehen konnten und das etwas ruhiger war als das überfüllte Chamonix. Es regnete – natürlich, weil die Berge traurig waren, dass ich schon gehen musste. :D
Und dann fuhr ich am nächsten Tag wieder zurück in den Norden. Warum ich während der Zugfahrt wahnsinnig genervt war, erzähle ich mal wann anders.
Jemand sollte mich stoppen, wenn ich von Bergen schreibe. Also: Herzlichen Glückwunsch, du hast es bis zum Ende geschafft und wenn die Pandemie vorbei ist, darfst du dir bei mir einen Cookie abholen.
Peace out. |
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