Freitag, 22. Januar 2021

Chamonix, Berge und Freiheit

It's not the mountain we conquer, but ourselves.

- Edmund Hillary

 

Mont Blanc (Mitte, weißer Hügel hinten)

18.-23.07.2020. Hallo und herzlich Willkommen zurück in Frankreich. Ich war also weiterhin bei Mark in Chamonix und genoss es in den Bergen zu sein. Chamonix ist spannend, anders als ich erwartet hatte. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein großer Fan von Franzosen bin (sorry an meine französischen Freunde, die es irgendwie trotz ihrer Nationalität in mein Herz geschafft haben), also hatte ich nicht wirklich erwartet, dass ich mich hier so wohlfühlen würde. Aber Chamonix ist irgendwie auch zerrissen:

- Auf der einen Seite die französische Bevölkerung: Geschäfte, Cafés, Restaurants und Bäckereien (ahhh, Baguette und Croissant – damit wäre mein Französisch auch schon nahezu ausgeschöpft, oui?). Und vergiss den Wein und Käse nicht, Mareike! Hallo Vorurteile. :)

- Und auf der anderen Seite: die ganze bergsportbegeisterte Community, die aus den weltbesten Extremsportlern, Aussteigern und vielen Outdoor-begeisterten Menschen mit Homeoffice-Berufen besteht, die sich alle diese Bergkulisse als Wahlheimat ausgesucht hatten. Man hörte öfter Englisch auf den Straßen und in den Kneipen als Französisch und was hier bei einem Bier an Anekdoten erzählt wird, wäre überall anders ein Grund ein Buch über sein Leben zu schreiben… Leichenfunde im Gletscher, Bergrettungsdienst als Kurzwahl im Telefon? That’s life. (Ich habe die Direktwahl zum Rettungshubschrauber auch immer noch in meinem Telefon, fällt mir dabei gerade ein). Junger Typ bricht sich den Rücken beim Mountainbiken und fährt dann kurz danach mit dem Rad in die Stadt? Eskalation bei seinem älteren Bruder, der sich um ihn kümmert und nun zum ersten Mal im Leben deren verzweifelte Mutter verstand, die es mit diesen beiden Söhnen sicher nicht leicht hatte. Die beiden Jungs hatten hier zusammen wohl schon so oft den Heli gebraucht, um irgendwo gerettet zu werden, dass die Gruppe den Hubschrauber liebevoll „Nachname-Express“ nannte (sorry, werde keine Namen nennen). Naja, beim Spazieren in den Bergen überholen einen regelmäßig ausgemergelte, super trainierte Läufer, von denen hier einige in den Bergen für den Ultra-Trail du Mont-Blanc trainieren (Ultramarathon mit über 170km, mehr als 10.000 Höhenmetern und einem Zeitlimit von 46,5 Stunden – haha, vielleicht im nächsten Leben). Chamonix ist auch vermutlich die einzige Stadt der Welt, in der du nicht cool bist, wenn du mit einem (Eis-)Pickel durch die Gegend läufst. Traurig für mein armes Ego… Man trifft weltbeste Kletterer, die hier als Guide die Hälfte des Jahres ihr Geld verdienen und Dullis wie mich die Berge hinaufschleppen, um den Rest des Jahres neue Routen auf der ganzen Welt zu erklettern. Ein Mädchen mit wunderschönen Augen erzählt mir, dass sie an einem autobiografischen Buch über ihre Kletter-Familie schreibt. Ich finde das wunderschön und stelle mir vor wie sie viele ihrer Verwandten befragt, bis ich später auf Wikipedia lese, dass ihre Mutter auf dem Rückweg vom Gipfel des K2 tödlich verunglückte, nachdem sie kurz zuvor ohne Sauerstoff und ohne Hilfe auf dem Mount Everest gewesen war. Der Bruder des Mädchens kam erst vor kurzem bei einer Winterbesteigung des Nanga Parbat ums Leben. Die Berge nehmen sich ihren Anteil an unseren Leben. Manch einer geht und kommt nie wieder und doch trifft man niemanden, der ihnen den Rücken kehren könnte. Sie ziehen uns alle immer wieder magisch an.

 


Da ich jedoch keine große Todessehnsucht hatte, machten Mark und ich eine schöne entspannte Wanderung zu „La Jonction“, einer Weggabelung der anderen Art. Man stieg nämlich zwischen zwei Gletscherzungen hinauf, bis man auf über 2.500m zwischen diesen beiden steht und die einmalige Natur zum Greifen nah ist. Hübsche Waldwege führen einen stetig nach oben, dann wird das Gelände offener, man muss oftmals über Geröll und Steine kraxeln. Am Ende mussten auch kurz die Hände für ein wenig leichtes Klettern benutzt werden. Alles in allem also eine Wanderung nach meinem Geschmack.

Auf der massiven Felshalbinsel zwischen den breiten Strömen weißen Schnees, strahlten die dunklen Felsen die nachmittägliche Sonne warm zurück und wir setzen uns erst einmal hin. Snackpause und Berggipfel anstarren. Ich konnte mich kaum satt sehen. Die Zunge des Glacier des Bossons ist die tiefst gelegenste Gletscherzunge der Alpen und auch eine der am schnellsten fließenden. Wir waren weit oben, auf diesen Gletschern fingen auch einige Bergexpeditionen an, man konnte hier unterhalb des Mont Blanc in dessen Richtung aufbrechen. Ich musste mich immer wieder zwingen meine Augen von dem weißen Strahlen abzuwenden, um keine Probleme zu bekommen. Hier oben war die Freiheit der Berge zum Greifen nah.

 

Die Bilder sprechen für sich

 

Ich kletterte hinab zum Gletscher und erkundete die kleine Höhle unterhalb des Eises, Tauwasser tropfte um mich herum und das Eis leuchtete Blaugrau. Wie ein kleines Kind freute ich mich, als ich das Eis anfasste. Wie alt mochte dieser Teil wohl sein? 10 Jahre? 15? Oder sogar hunderte? Von zwei Flugzeugabstürzen in den 50er und 60er Jahren wurden in den letzten Jahren noch einige Sachen freigespült. Faszinierend.

Zum Abschluss wagten wir uns noch ein paar Meter hinauf auf das Eis, das an dieser Stelle ohne Spalten war – die Spuren vieler anderer Leute erzählten uns, dass diese Stelle wohl sicher war. Langsam kamen Wolken über die Berge gezogen und blieben an den Gipfeln hängen. Weiße Watte vor dunklem Felsen. Wir machten uns auf den Rückweg. Wir liefen flotten Schrittes, an einigen Stellen rannten wir sogar. Die Herausforderung von Stein zu Stein zu springen und sich voll und ganz auf den nächsten Schritt zu konzentrieren war wunderbar erfrischend. Ich glaube Trailrunning könnte mir Spaß machen. :) Wir waren in Rekordzeit wieder unten.

 


Den nächsten Tag entspannten wir uns dann mal und gingen nur in der sonnigen Innenstadt spazieren, die malerisch vor den Bergen an einem Fluss lag. Bunte Blumenkästen am Ufer, kleine überdachte Holzbrücken, Cafés und Restaurants und natürlich Outdoorläden. Jede Marke, die etwas auf sich hielt, hatte hier ein Geschäft. Wir kauften Eis, gingen durch die süßen Fußgängerzonen und genossen die entspannte Atmosphäre. Später telefonierte ich noch mit Insa und überlegte mir Pläne für den nächsten Tag.

 

Mark musste nämlich arbeiten (boooo) und deswegen hatte ich den ganzen Tag für mich. Es war wieder wundervoll sonnig, keine Wolke trübte den blauen Himmel. Da es ein warmer Sommertag war, zog ich kurze Sachen an und ging dann los. Einmal schnell zur Talstation der „Aiguille du Midi“ spaziert und dann Schockstarre. Wo kamen die ganzen Leute her? Chamonix war über Nacht zur Touristenhochburg geworden? Invasion? Was war hier los? Montag und der ganze Platz war voller wartender Menschen. Hm, mit dem Gefühl einer schlechten Vorahnung stellte ich mich zu den Wartenden in die sonnige Warteschlange. Als ich endlich dran war, bestätigte sich mein Verdacht: die nächste freie Gondel wäre um 14:20 Uhr. Ohje, ich würde somit nichts anderes mehr machen können heute. Ich überlegte kurz, wollte es aber trotzdem machen, denn die Aiguille du Midi war schon ein Highlight. Die nette Dame hinter der Scheibe sah wohl, dass ich etwas traurig war und plötzlich fragte sie mich, ob ich alleine wäre. Ja? Sie habe noch ein Ticket übrig, das nicht abgeholt worden war und für 11:40 Uhr wäre. Außerdem koste es 15 Euro weniger und somit nur knapp über 50 Euro. Hallo, natürlich nahm ich es, versuchte meine Dankbarkeit in Worte zu fassen, da ich die Dame ja schlecht umarmen konnte und ging mit meinem neuen Schatz (der Reservierung für die Gondel) glücklich erstmal frühstücken.

 

Hände desinfizieren, Maske und Temperaturmessung, dann durfte ich eine Stunde später in die Gondel einsteigen. Es war unangenehm voll und ich fühlte mich ziemlich unwohl zwischen all den Menschen ohne Abstand. Ich hoffte, dass es schnell gehen würde. Zunächst ging es hinauf zur Mittelstation auf 2.300m, dann Umstieg in die zweite Gondel, die an einem einzigen kilometerlangen Seil in Rekordzeit hinauffährt auf über 3.700m. Schlucken für den Druckausgleich. Ja, es ging schnell. Für Babys ist die Fahrt verboten, für Kleinkinder nicht empfohlen – Höhenkrankheit ist durchaus möglich bei diesen Höhen und dem schnellen Aufstieg. 

Beim Aussteigen kam mir eiskalte, trockene Luft entgegen und ich zog schnell meine schlauerweise noch eben eingepackte Jacke über. Gegen die Gänsehaut auf den Beinen konnte ich wenig machen, aber es war ja immerhin sonnig. Wir standen auf den Felsen einer Bergspitze weit über dem weißen Meer der Gletscher, nebenan der Gipfel des Mont Blanc. Absolut verständlich, dass diese Fahrt so viel Geld kostete – so einfach waren Berge und Bergaussichten noch nie gewesen.

 

 

Ein paar Stufen führten mich auf eine Aussichtsplattform und ich kämpfte mit meinem Atem. Der ein oder andere musste auf der Hälfte der Treppe stehen bleiben, wo ist denn der ganze Sauerstoff plötzlich hin? Eine kleine Ausstellung über die Höhenkrankheit klärte einen auf, man konnte also entspannt seine eigenen Symptome untersuchen. Ich ließ mich vor dem Gipfel des Mont Blanc fotografieren, lauschte den Gesprächen von anderen Touristen und wanderte durch das tunnelartige System von Gängen und Aussichtsplattformen. An einer Stelle wartete ich auf unter mir am Felsen aufgetauchte Kletterer, die gerade diese Steilwand bezwungen hatten – sie sahen nicht so fertig aus, wie einige der Flachlandtouristen hier. Wow. Tief unter mir sah ich immer wieder kleine dunkle Punkte auf dem weißen Gleißen, die sich langsam bewegten. Wanderer in den Bergen auf dem Weg oder Rückweg auf die umliegenden Gipfel. Ich wollte auch!

 

Mareiki vorm Mont Blanc

Um 14 Uhr hatte ich meine Gondel zurück, die einem schon beim Ausstieg zugeteilt worden war, damit man bis zum Ende des Tages auch alle Leute wieder vom Berg heruntergeschafft hatte. Ich stieg an der Mittelstation aus, weil ich noch Wandern gehen wollte. Herrliche warme Luft begrüßte mich, ich war zurück im Sommer. Ich versuchte den Schildern zum Lac Bleu zu folgen, aber irgendwie waren plötzlich sowohl Weg als auch Schilder weg und kein See in Sicht. Naja, da ich weiter unten einen Weg sah, folgte ich einigen kleineren Pfaden querfeldein und folgte dann diesem Weg, der sich mehr oder weniger flach verlaufend an der Flanke des Berges entlang wand und bis hinüber nach Montenvers führte. Er war auch gut besucht, so dass ich immer mal wieder Familien und andere Wanderer überholte. Mark schrieb mir, dass er vielleicht einen Guide für uns für morgen gefunden hätte und so musste ich gegen 18 Uhr wieder in der Stadt sein, was meine Zeitplanung etwas straffte. Ich fing also an zu joggen. Nun war endlich mal ich die Verrückte, die alle in den Bergen überholte und es fühlte sich gut an. :D Ich befand mich jedoch durchgängig auf über 2.000m und das merkte ich auch jedes Mal, wenn der Pfad ein wenig Steigung hatte. Hui. An einem längeren Stück hoch musste ich zurück ins Gehen wechseln, weil meine Lunge kurz davor war sich aus meinem Körper zu verabschieden. Nicht einfach die Funktion einstellen sondern direkt Auswandern. Tschüss.

Ich hatte die Abzweigung für den entspannteren unteren Weg verpasst und lief somit noch einmal zu einem Aussichtspunkt hinauf. Aber was waren das für wahnsinnige Aussichten auf den Dru! Hämmerte mein Herz von der Anstrengung oder von den Aussichten?

 

wenn man zu faul ist sich für ein Foto zu entscheiden...

In Montenvers nahm ich dann einen Zug zurück nach Chamonix (Menschenmassen, lange Warteschlangen; zu blöd das Ticket zu kaufen; nette Mitarbeiter, die mir das Leben retten – ich erspare euch die langweiligen Details) und hatte sogar noch Zeit für eine schnelle Dusche, bevor ich mich mit Mark an der Midi-Station traf. Long time no see. Da fahre ich heute nicht noch einmal hoch. Ha.

Ich benötigte Ausrüstung, denn Mark hatte uns für den nächsten Tag tatsächlich einen Guide organisiert für ein kleines hochalpines Abenteuer und dafür war ich nicht ausgestattet. Ich brauchte Kategorie C-Schuhe mit Steigeisen, eine Axt bzw. Eispickel (yay) und eine Sonnenbrille, die etwas mehr kann als meine 1-Dollar-Indien-Sonnenbrille. Konnte man natürlich alles ohne Probleme hier bekommen, wir waren schließlich im Outdoorparadies schlechthin. Wir belohnten uns mit den Burgern bei „Poco Loco“, die heute zum halben Preis waren - das Warten lohnte sich.

 

Traversata Aiguille de Marbrées (3.535m):

Wecker auf kurz vor 5 Uhr ist jetzt nicht so meine Vorstellung von Spaß, aber da Mark auch kein fröhlicher Morgenmensch ist, machten wir uns einträchtig grummelnd und wenig kommunikativ fertig. Sachen hatten wir am Abend schon gepackt, ich flocht mir meine Haare noch so, dass ich den Zopf ohne Druckstellen unter dem Helm tragen konnte, dann ging es los. Mael, unser Guide für heute, holte uns in seinem klapprigen VW-Bulli ab und dann ging es durch den kilometerlangen Tunnel unter dem Mont Blanc nach Italien. Bei dieser absolut eintönigen Fahrt musste sich Mael stark konzentrieren wach zu bleiben. Mark gab trotz Müdigkeit sein bestes ihn zu unterhalten und war damit definitiv ein Held, denn ich vegetierte nur so vor mich hin.

Im nächsten Dorf hinter dem Tunnel ging es mit der Gondel von der anderen Seite hinein in die Berge und wir fuhren bis auf 3.375m (Pointe Helbronner) hinauf, wo wir uns für die Tour zurecht machten. Noch einmal aufs Klo gehen (besonders für Frauen beim Tragen eines Klettergurtes später so gut wie unmöglich zu bewerkstelligen), Steigeisen unter die Schuhe, Helme auf und Seil an die Gurte knoten. Unsere kleine Seilschaft konnte wenig später auf das Eis des Gletschers hinausgehen.

 


Da ich das Küken der Gruppe war, durfte ich den sicheren Mittelplatz einnehmen und hoffte, dass trotzdem keiner der anderen beiden in einer Gletscherspalte verschwinden würde. Aber wir bewegten uns nur auf der großen, fast flachen Ebene zwischen den vielen hohen Gipfeln, die wenig Bewegung im Eis hatte und somit ziemlich sicher war. Hoffte ich. Es war auch ein beliebter Einstieg zu vielen anderen Routen, so dass wir kleinen einspurigen Pfaden im Schnee folgten und dabei zunächst deutlich abstiegen. Gesetz der Gletscherwanderungen: wer hinunter geht, macht den sich heraufkämpfenden Wanderern den Weg frei.

Es war ein trüber, wolkiger Tag, so dass der Schnee stumpf wirkte und die Gipfel im Schatten lagen. Über dem Tal sah man jedoch schon den ein oder anderen goldenen Strahl der Morgensonne zwischen den Wolken hervorbrechen – ein starker Kontrast zu den ungezähmten, dunklen Felszacken und ich hatte die Hoffnung, dass das Wetter sich noch bessern würde in der nächsten Zeit.

Ich hatte mich dick angezogen, aber mir wurde schnell warm und nach etwa 30 bis 40 Minuten waren wir auch schon am Felsen angekommen, einem Bergkamm, über deren aufgereihte Gipfel die Grenze zwischen Frankreich und Italien verläuft, der Aiguilles Marbrées. Wir umrundeten den in die Gletscherebene hereinragenden Teil der Steinformation und befanden uns nun zwischen unserem Grat und dem Dent du Géant (einem niedrigen, aber imposanten 4.000er) auf der anderen Seite. Der Einstieg auf die Felsen war einfach und so verstauten wir schnell Steigeisen und Eisäxte. Das Seil wurde verkürzt, denn zum Klettern braucht man nur wenige Meter, auf dem Gletscher waren wir etwa 10m voneinander entfernt gewesen.

 

Das Bild war vom Rückweg, aber man kann hier super die gesamte Länge der Aiguilles Marbrées sehen (der ganze Kamm von der Mitte bis rechts rüber, auf der Rückseite war der Einstieg in die Kletterroute), im Hintergrund die prominente Spitze des Dent du Géant.

Was für ein merkwürdiges Gefühl in schweren, klobigen Schuhen zu klettern, einen Rucksack auf dem Rücken zu tragen und mich in meinen Klamotten irgendwie behäbig zu fühlen. Einige Male stützte ich mich mit den Knien ab (hallo blaue Flecken!) und ich war begeistert wie anders Klettern an richtigen Steinen war. Nicht bloß kurzzeitig auf einer Wanderung die Hände benutzen oder im Klettersteig sein, sondern wirklich nur Felskanten und -spalten zu benutzen. 

Ich war absolut glücklich meine Kletterhandschuhe dabei zu haben, denn Mark hatte in seinen dicken Handschuhen keinen guten Halt, kletterte daher ohne Handschuhe und zeigte mir am Ende seine blutenden Hände. Ups. Bei langen Kletterstellen wurden meine Finger etwas kalt, denn die Sonne ließ sich nicht überreden uns die eiskalten Felsen zu wärmen, aber es machte einfach zu viel Spaß. An zwei oder drei Stellen wurde es kniffelig, ohne Klettererfahrung hätte ich vielleicht Hilfe gebraucht. Ich war glücklich! Allerdings auch die langsamste, weil ich sehr unsicher war und recht langsam von Stein zu Stein hüpfte und somit die Geschwindigkeit unserer Gruppe bestimmte. 

 


Der Anfang war recht steil bis wir den Hauptgipfel erreicht hatten und kurz die wundervolle Aussicht genossen. Danach kraxelten wir auf dem Grat über den Nebengipfel in ungleichmäßigem auf und ab in Richtung Abseilpunkt. An zwei Stellen mussten wir Traversen an steilen Hängen überwinden, bei der Mael einer Sicherung im Fels anbrachte, die Mark als letzter wieder einsammeln musste. Diese kleinen Geräte steckte man in Felsspalten und wenn man nun stürzt, sollten sie ausreichen, um einen aufzufangen. Da keiner von uns stürzte, kann ich die Sicherheit dieser Teile nicht beurteilen, für meine Psyche waren sie jedoch sehr aufbauend.

 


 

Da es nun hinabging und unser Guide ja immer „von oben“ sicherte, musste auf dem Weg hinab Mark vorgehen. Die Schlüsselstelle im Abstieg war eine senkrechte Wand von etwa zwei Metern, die man sich an den Händen hängend herablassen musste, um dann wieder auf einem der Felsen zu landen. Problem, als ich dort hing: Ich war zu klein und kam mit meinen Füßen nicht am Boden an. Ich hing also an meinen Händen und versuchte meinen Kopf so zu drehen, dass ich meine Füße sehen konnte (gar nicht so einfach mit klobigem Helm auf dem Kopf). Weil das vermutlich urkomisch aussah, musste ich lachen. Mark stand etwas hilflos hinter mir und wollte mich glaube ich gerade von der Wand hinunterheben, als mir die rettende Idee kam. Ich konnte mich ein kleines Stück zur Seite hangeln, was ausreichte, um dort mit den Füßen den nächsten Stein zu erreichen.

 


Kurze Zeit später kamen wir an der Stelle an, von der man sich normalerweise auf den Gletscher hinunter abseilt. Mael meinte jedoch, dass wir es wohl auch schaffen würden bis ganz zum Schluss zu gehen, wir waren gut durchgekommen. Also weiter, Mael ging wieder vor und suchte sich den Weg durch die Felstrümmer, denn auch er war diesen Weg noch nie ohne Schnee gegangen. Na Halleluja. Aber klappte alles wunderbar und dann waren wir nur noch etwa 10m oberhalb des Gletschers, ein steiler Hang voll losen Gerölls zwischen uns und dem verlockenden Weiß. Mark ging vor, war also unter mir, so dass ich besonders vorsichtig auftrat, denn die Steinplatten lagen sehr locker und alles, was ich lostrat, würde Richtung Marks Kopf rauschen. Immerhin bin ich trittsicher. 

Mark war nur noch 2m vom Schnee entfernt, als es für mich etwas steiler wurde, ich musste einen recht großen Schritt auf die nächste ebene Fläche machen und um nicht springen zu müssen (keine brillante Idee bei losem Geröll), hielt ich mich an einem größeren Felsen fest, Bauch an den Berg und ließ meine Beine kontrolliert hinab. Doch plötzlich bewegte sich der von mir sicher geglaubte Fels, Stein rieb auf Stein und kam auf mich zu gerutscht. Ich reagierte instinktiv, ließ den Stein sofort los und hoffte auf einen sicheren Stand für meine Füße, die eine Millisekunde später den Boden berührten. Für eine Sekunde schien die Welt still zu stehen. Ich hielt den Atem an. Geschockt bewegte ich mich schnell zur Seite. Wäre der Stein noch weiter gerutscht, hätte er mich in Brusthöhe getroffen und nach hinten geworfen, ich wäre rückwärts den Abhang hinabgefallen und vermutlich auf Mark gelandet, der direkt unter mir stand. Er meinte, er hätte uns schon sterben gesehen.

 

Aber es ging alles gut, etwas zittrig kam ich auf der beruhigend festen Eisfläche an. Dass ich einen Gletscher mal als beruhigend empfinden würde.. Haha.

Die oberste Schneeschicht war leicht angetaut, so dass wir ohne Steigeisen zurückstiefelten. Ich rutschte ein paar Mal hin und her, aber es ging schnell zurück. Was für ein Tag.

 

Gipfelfoto

Auf der Gondelrückfahrt sahen wir eine Herde Gämse am Hang und dann belohnten wir uns mit einer riesigen Pizza, wenn wir schon mal in Italien waren – göttlich! Es war zwar noch nicht einmal 12, aber Bergabenteuer machen hungrig!

Nachmittags lief ich begleitet von den riesigen Tropfen eines wunderbar warmen Sommerregens durch die Stadt, gab mein geliehenes Equipment zurück, genoss den Geruch des Regens und hörte Musik. Abends hatte sich der Regen dann zu einem ausgewachsenen Unwetter entwickelt, was auch sehr schön war.

Der nächste Tag war dann auch schon mein letzter hier und die Sonne schien als wäre nie etwas gewesen. Ich ging ein wenig Shoppen in der Stadt, kaufte ein paar Souvenirs und dann eine Ananas, weil Mark Hunger darauf hatte. Da ich die jedoch schon recht früh kaufte, marschierte ich selbstsicher mit Ananas in der Hand eine Stunde lang durch die Fußgängerzonen. Ananas ist die neue Clutch – bin mir sicher, dass sich das noch durchsetzen wird!

 

Den nächsten Tag kann ich spaßmäßig nicht weiterempfehlen. Wir fuhren gegen 8 Uhr los nach Genf, dann saß ich 10 Stunden oder so im Zug, beziehungsweise mehreren Zügen und kam gegen kurz vor 20 Uhr tatsächlich pünktlich in Bremen an. Puh. Mama und Papa holten mich ab und dann war ich wieder Zuhause. Moin.

 

Danke an Mark für die wunderbare Zeit, das liebe Aufnehmen und das Herumführen, die nette Gesellschaft, die lustigen Geschichten (schließlich bist du natürlich ohne Konkurrenz der witzigste Mensch der Welt) und das Mitschleppen auf verrückte Bergabenteuer! Ich bin mir sicher, dass du mich viel zu oft eingeladen hast - absolut nicht fair. :) Und Winke-Winke an alle warmherzigen, offenen Menschen in Chamonix, die das hier jedoch eh nie lesen werden. :D

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen