Natur in der Form wilder Landschaft ist der beste Spiegel unserer Seele.
- Reinhold Messner
14.07.2020. Ortswechsel. Mit dem Bus von Götzens nach Innsbruck, dann mit der S-Bahn nach Ötztal, also ins Ötztal, nur dass die Haltestelle bzw. der Bahnhof auch so hieß. Dort stieg ich noch einmal in einen Bus um, der mich weiter in das Tal hereinbrachte, nach Umhausen. Ich hatte dummerweise direkt gesagt, dass ich ein Ticket benötigte, denn die meisten stiegen coronakonform hinten ein und zeigten ihre Tickets nicht. Ich glaube der Fahrer wollte mich auch gerne schwarz mitfahren lassen, aber ich hatte mich schon verraten. Mist. Also nannte er mir den Preis (5,50€) und ich kramte schon nach meinem Geld, als er hinterher schob „aber du bist ja Jugendliche, das sind dann nur 3,30€! Bei den Masken sieht man das Alter ja immer nicht.“ Fröhlich lachende Augen. Ehrenmanni.
Meine Unterkunft hier war richtig schön und so gut ausgestattet, dass ich gerne länger geblieben wäre, aber das lohnte sich nicht ohne Auto, denn hier gab es nur eine Sache, die ich mir anschauen wollte und dorthin brach ich auch direkt auf. Aber vielleicht komme ich noch mal zum Wandern wieder? :)
Die Besitzerin des Hauses hatte mir noch den Tipp gegeben direkt über die Wiese zur Hauptstraße zu laufen, was mir bestimmt 10 Minuten Weg sparte und so war ich nach etwa einer halben Stunde am Ötzi-Dorf. Ha, das schaute ich mir aber gar nicht an, denn dahinter lag mein eigentliches Ziel: der Stuibenfall, dem mit 159m zweithöchsten Wasserfall in Tirol (er verlor mit einem Meter gegen einen Wasserfall, der exakt gleich heißt, aber woanders liegt – kreativ ist was anderes).
Hach... :) |
Der Wasserfall lag malerisch am Ende eines nach hinten enger werdenden Tals, grün Bewachsen an den Hängen, an der linken Seite eine steile Felswand und rechts Treppen mit Aussichtsplattformen. Mein Ziel war jedoch die linke Seite, denn an den Felsen war ein wundervoller Klettersteig gebaut worden.
Stuibenfall Klettersteig im Ötztal:
Schwierigkeitsgrad: C (würde ich aber leichter schätzen)
Wandhöhe: 300-400m
Exposition: Südwest
Zeit für Durchstieg: etwa 2 Stunden
Bevor man zu dem eigentlichen Einstieg an der Felswand kam, musste man den Fluss auf einem Drahtseil überqueren und dann etwa 10 Minuten durch den Wald spazieren. Es war wunderbar ruhig hier – die meisten Touristen hielten sich bei den Treppen auf. An der Felswand wurde dann aber recht schnell klar, dass auch hier ein Haufen Menschen waren, denn es staute sich an der Wand. Ich unterhielt mich also lange Minuten mit dem älteren Paar vor mir, die auch gerne schneller vorwärtsgekommen wären, es aber mit Humor nahmen. Es gab ein paar kleine Überhangbereiche und sehr steile Passagen, weswegen der Steig auch mit der Schwierigkeit C angegeben war, aber die waren sehr kurz, so dass sie mir keine Probleme bereiteten. Aber sie erklärten, warum es sich dort staute, denn es waren auch Familien unterwegs.
Die Wartezeit war aber nicht zu schlimm, ich hatte nette Gespräche, wundervolle Aussichten in das Tal hinab und die warme Sonne schien mir ins Gesicht. Eigentlich kein allzu schlechter Platz, um darauf zu warten, dass es weiter ging.
Nach einiger Zeit kletterte man dann um eine Felskante herum und plötzlich war das Tosen des Wasserfalls ganz nah zu hören. Im Sommer kommen hier die größten Mengen hinabgeschossen, da sich der Fluss aus dem Schmelzwasser zwei naher Gletscher speist. Ich war mittlerweile so weit hinaufgeklettert, dass ich fast auf einer Höhe mit dem Anfang des Wasserfalls war. Was für eine unglaubliche Sicht!
Und dann kam das Finale (siehe oben das linke Bild): Die Überquerung der Abbruchkante des Wasserfalls auf einem Drahtseil. Balancierend hing man nur einen Meter über der wild um sich schlagenden Wasseroberfläche. Immer wieder trafen mich klatschend Spritzer an den Beinen, während ich vorsichtig Schritt für Schritt über den Wasserfall ging. Was für eine verrückte Aussicht! Unter mir das Tal, um mich herum das Tosen des Wassers. Natur pur. Kraft.
Und dann war ich auch schon raus aus dem Klettersteig. Mittagspause nach nicht einmal zwei Stunden trotz Warten. Ein großartiger und anfängerfreundlicher Klettersteig mit ein paar der unglaublichsten Aussichten, die man sich vorstellen kann. Absolut ein Highlight! Nur schwindelfrei sollte man sein, wenn man auf dem Seil balanciert. Es gibt jedoch auch die Option vorher auszusteigen – aber das macht ja keinen Sinn. :P
Auf dem Rückweg nahm ich dann alle Aussichtsplattformen und Treppen mit und freute mich, dass ich die nicht hatte hochlaufen müssen. Klettern siegt über Treppenstufen. Ich lief auf den recht steilen Wegen flott nach unten und wurde zu meinem Unwillen von einem Trupp Soldaten überholt. Gebirgsjäger. Voll unfair, dass die schneller waren!
Am Abend hatte ich dann noch ein spaßiges Telefonat mit meinem Chef, der mich gerade erwischte, als ich unter der Dusche stand. Joa, nackt hatte ich bisher auch noch nie mit jemandem von der Arbeit telefoniert. :D
Vorteil: man kann den Angstschweiß direkt wieder abwaschen – haha.
Nachteil: es wurde irgendwann echt kalt.
Kurzfassung: Der Firma geht’s scheiße, fast alle sind in Kurzarbeit, es gibt keine Arbeit und ich würde im August voraussichtlich auch direkt in Kurzarbeit gehen. Hurra.
Noch ein letztes Foto vom Stuibenfall, weil er einfach so schön war! |
Am nächsten Tag fuhr ich dann auch schon wieder raus aus Österreich, durchquerte Liechtenstein und düste einmal quer durch die Schweiz bis nach Genf. Wenn ich nicht vorgehabt hätte, jemanden zu besuchen, wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen diese lange Strecke auf mich zu nehmen. Besonders, wenn ich gewusst hätte, dass die Strecke zwischen Innsbruck und dem Ötztal irgendwo gesperrt sein würde wegen eines Rettungseinsatzes, ich einen schnell organisierten Ersatzbus nehmen und dann eine Stunde im Geisterzug sitzen musste, um auf die ganzen Leute aus Innsbruck zu warten. Als ich dann noch bemerkte, dass ich in der Schweiz außerhalb der EU war und mein Handy mir kein Internet geben wollte, sank meine Laune tatsächlich noch ein Stück weiter… Aus irgendeinem Grund ging meine SMS jedoch raus und so konnte ich Mark Bescheid sagen, dass ich eine Stunde später in Genf sein würde als geplant. Puh. Mark kennt man vielleicht noch aus Nepal – längster Travelbuddy (außer Insa natürlich) – und er wohnt momentan in Chamonix und hatte mich eingeladen ihn dort zu besuchen. Wundervoll, wenn man überall Freunde hat! :)
Er konnte mich also pünktlich und ohne langes Warten am Bahnhof abholen und schon fuhren wir eine kurze Stunde rein nach Chamonix, Frankreich. Das wäre dann Land Nummer 4 heute. Damit ich nicht einschlief, musste ich an einem Haufen Mautstellen die Kreditkarte aus dem Fenster halten, denn da es ein britischer Wagen war, saß ich als Beifahrer links. Wie äußerst merkwürdig. Fühlte sich falsch an, besonders, wenn man rechts fährt. :D
Das auf etwa 1.000m gelegene Chamonix-Mont-Blanc (das absolut niemand so nennt, sondern eher noch weiter verkürzt auf „Cham“) begrüßte uns mit tiefhängenden Wolken, hinter denen sich die Berge versteckten, so dass ich den Geschichten glauben musste, dass es das schönste Tal der Welt sei. Aber die zwei Gletscherzungen, die sogar noch unter der Wolkendecke ins Tal hinabrollten, waren schon imposant genug! Ich war zufrieden. Berge. Hier würde ich mich sicher wohl fühlen.
16. - 17.07.2020. Am nächsten Tag starteten wir direkt die erste kleine Erkundungstour im Chamonix-Tal. Die Wolken versteckten die oft gepriesenen Aussichten auf die Berge noch immer und so wanderten wir einen hübschen Waldweg hinauf nach Montenvers (entspannte 900 Höhenmeter hinauf auf knappe 2.000m). Es ging hinein in ein Seitental, in dem die Zunge des „Mer de Glace“-Gletschers hinab ins Tal rollt. Schöne Aussichten und kühle Winde, die direkt von den Schnee- und Gletscherflächen des Mont Blanc Massivs herabwehten. Ich habe noch nie Eis beim Atmen geschmeckt, aber heute konnte ich diese andere Welt riechen. Als hätte ich einen Fuß in die Arktis gesetzt. Begeistert versuchte ich mir die ersten Eindrücke dieser neuen Bergwelt einzuprägen.
Mareike in eisiger Arktisluft und unter dem ganzen Kies und Gestein verbirgt sich der Gletscher |
Wir standen auf einer zugigen Aussichtsplattform und plötzlich riss die Wolkendecke auf der gegenüberliegenden Seite auf und zeigte eine unendliche schöne, raue Felslandschaft. Dunkle Türme ragten in den Himmel, der „Dru“ zeigte seine Flanke. Dahinter die „Aiguille Verte“, einer der schwersten zu besteigenden 4.000er der Alpen (wenn nicht sogar der schwerste). Wenn das nicht Berge sind, weiß ich auch nicht.
Man konnte sich hier oben noch die Crystal Gallery, einen Tunnel mit Wissenswertem über Kristalle, und ein anderes kleines Museum über Gletscher anschauen. Weiter unten gibt es einen Zugang in eine Gletscherhöhle, für die wir aber zu spät aufgebrochen waren. Vielleicht ein anderes Mal. :)
Wir hatten uns die beste Pizza der Stadt abends auf jeden Fall verdient und „Rosemary Dream“ war definitiv ein Traum!
Am nächsten Tag konnte ich Mark zu seinem ersten Klettersteig
überreden, wozu wir in das Nachbardorf Lez Praz fuhren und dort mit dem
„Flégère“-Lift nach oben gondelten. Eine kurze Wanderung brachte uns zu dem auf
etwa 1.900m gelegenen Einstiegspunkt dieses recht neu angelegten Klettersteiges.
Via Ferrata des Evettes:
Schwierigkeitsgrad: C
Wandhöhe: ca. 250 m
Einstiegshöhe: 1.900 m
Exposition: Südwest
Zeit für Durchstieg: 2 Stunden
Die Wolken waren heute nicht so düster und hingen nur noch an den höchsten Gipfeln, so dass sich über dem Tal blauer Sommerhimmel sehen ließ. Es war warm und so kletterte ich im Top. Ich hatte erwartet, dass der Klettersteig wirklich einfach werden würde, aber es gab ein paar Passagen, die im Überhang waren und einige steile Wände mussten erklommen werden. Rauer Felsen und wenig gehen. Meine Lieblingsstelle war die, wo man durch einen kleinen Tunnel geführt wurde und ich beinahe hängen blieb, weil meine Sicherungsseile auf Maximum gespannt waren.
Ich hatte mich am Anfang etwas umgewöhnen müssen, denn französische Klettersteige spannen die mitlaufenden Sicherungsseile fast gar nicht auf, so dass sie kaum guten Halt für die Hände bieten – das war ungewohnt. Dafür waren jedoch mehr Tritte in den Stein gehauen, so dass man immer genug Möglichkeiten fand sich festzuhalten.
Es war eine wunderschöne Route! Wenn man mal eine Pause machte und sich umdrehte, lag das ganze Tal entlanggezogen vor einem, auf der gegenüberliegenden Seite schauten weiße Berggipfel aus den Wolken und ich bekam meinen ersten Blick auf den Mont Blanc, dem mit 4.810m höchsten Berg der Alpen und der EU. Er sah gar nicht so hoch und weit weg aus – einfach ein großer weißer flacher Hügel, der zufällig höher als alle anderen Bergspitzen war. Auch wenn diese sich in ihrer Form mehr Mühe gegeben hatten und als schwarze Felsnadeln in den blauen Himmel ragten und die Wolken durchstießen. Das französische Wort „Aiguille“ bedeutet „Nadel“ und jetzt ergibt alles einen Sinn. Ich grinste jedes Mal dumm vor mich hin, wenn ich wieder einmal einen Blick auf einen hohen Berg erhaschte. Schon allein für die Aussicht sollte man diesen Klettersteig unbedingt mitnehmen!
Die wirklich tolle und teilweise auch anstrengende Kletterpartie endete in einem spannenden Finale: Einer ziemlich langen Seilbrücke. Also eigentlich nur einem Seil für die Füße und zwei Führungsseilen für die Hände, oben das Sicherungsseil.
Vorher hatte es eine kürzere Überquerung auf einer 2-Seil-Brücke gegeben, die etwas wackeliger gewesen war, und dort hatte Mark schon sehr unterhaltsam geflucht. Das führte er nun natürlich begeistert fort. Grinsend ging ich also vorweg.
Was wir nicht wussten: Ein anderer einsamer Wanderer hatte es sich gemütlich gemacht und filmte uns nun. Leider zu weit weg, um uns zu hören, aber dafür so weit weg, dass man die Drahtseile nicht mehr sehen konnte und wir auf dem Video in der Luft zu schweben schienen – auf eine höchst merkwürdige Art und Weise. Er wartete dann auf uns, entpuppte sich als Engländer und schickte uns das Video. Super lieb! :)
Nun war der Klettersteig auch schon geschafft, wir kraxelten über ein Trümmerfeld von großen Felsen hinab zum nächsten Weg und gelangten von dort über Skipisten entspannt zurück zur Bergstation des Flégère-Lifts.
Vollkommen legitime Pause, um noch einmal auf den Mont Blanc zu starren |
Abends lernte ich dann einen Haufen von Marks Freunden kennen, denn es war Freitag und da traf man sich halt auf ein paar Bierchen. Mark erzählte begeistert von der absoluten Lächerlichkeit des Klettersteig-Sportes und deswegen würde ich ihn natürlich noch mal überreden mitzukommen. Aber von meinen restlichen Abenteuern in Chamonix müsst ihr beim nächsten Mal lesen.
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